Kann man einen Film über die ägyptische Revolution machen, ohne die Bilder der Aufstände zu zeigen? Wenn es nach dem deutsch-ägyptischen Regie-Duo Johanna Domke und Marouan Omara geht, ist das nicht nur möglich, sondern auch wichtig, um die Macht von Bildern zu dekonstruieren und das Gesehene zu hinterfragen. Genau das haben die beiden Filmemacher*innen in bisher zwei Filmen getan, die auf mehreren internationalen Festivals gezeigt und gefeiert wurden. Im Interview mit FANN erzählen Domke und Omara von ihrem Ansatz sowie von der Entstehung ihrer Filme Crop (2013) und Dreamaway (2018).

Dreamaway Filmstill

FANN: Wie kam es zu Ihrer Zusammenarbeit?

Johanna Domke: Marouan und ich haben uns 2012 während meiner Künstlerresidenz in der Townhouse-Galerie in Kairo kennengelernt. Damals, ein Jahr nach der ägyptischen Revolution, war die Lage in der Stadt noch sehr chaotisch. Die Ereignisse von 2011 hatte ich nur in den Medien aus der Ferne verfolgt, während Marouan sehr aktiv an der Revolution beteiligt gewesen war. Trotzdem haben wir sofort festgestellt, dass wir beide das gleiche Gefühl hatten, nicht in der Lage zu sein, uns künstlerisch mit jener Zeit auseinanderzusetzen. Wir hatten das Bedürfnis, einen Schritt zurückzutreten, um die Lage in einer anderen Größenordnung betrachten zu können. Statt eigene Bilder des Umbruchs zu machen, hatten wir die Idee, uns mit der Arbeit von Fotografinnen und Fotografen vor und nach der Revolution zu befassen. Wir wollten verstehen, was ein Bild in einem politischen Kontext bedeutet und inwiefern die Revolution darauf Einfluss genommen hatte. Das hat uns erlaubt, die nötige Distanz zu erreichen, denn es ging nicht um unsere „Linse“. Am Anfang war uns nicht klar, wozu unsere Recherchen führen würden. Ergeben hat sich am Ende unser erster gemeinsamer Film, Crop.

FANN: Sowohl in Crop als auch in Dreamaway thematisieren Sie die ägyptische Revolution, verzichten dabei jedoch vollständig auf die Bilder der Aufstände. Warum ist Ihnen das wichtig?

Johanna Domke: Zu der Zeit der Revolution ist eine regelrechte Bilderflut entstanden. Mittlerweile haben sich diese emotional aufgeladenen Bilder ins kollektive Gedächtnis eingeprägt. Darauf bewusst zu verzichten heißt für uns, Menschen von dem visuellen Einfluss dieser Bilderflut zu befreien, um ihnen einen Blick jenseits der Struktur und des Konstrukts von nationaler Identität zu ermöglichen. Crop handelt von einem Fotojournalisten, der die Revolution wegen eines Krankenhausaufenthaltes verpasst, und spielt vollständig innerhalb des Gebäudes der ägyptischen Zeitung Al-Ahram. In Dreamaway ergründen wir aus heutiger Perspektive die Ursachen, weshalb viele junge Menschen im Zuge der Revolution nach Scharm el-Scheich gezogen sind. Sie suchten dort nach besseren Arbeitschancen und einem freieren Leben.

Johanna Domke Marouan Omara

Johanna Domke und Marouan Omara © privat

FANN: In Scharm el-Scheich fanden viele junge Menschen nach der Revolution eine Anstellung in der Tourismusbranche. 2015 passierte aber der Flugzeugabsturz über dem Sinai, zu dem sich die terroristische Vereinigung Islamischer Staat bekannte. Daraufhin wurde der lokale Flughafen geschlossen und der Tourismus in der Region kam zum Erliegen. Welche Auswirkungen hatte dieses Ereignis auf Ihren Film?

Johanna Domke: Von Anfang an wollten wir einen Film über die ägyptische Jugend machen und darüber, wie sie die eigene Identität an einem Ort verhandelt, der sich durch kulturelle Diversität kennzeichnet. Uns war wichtig, den Fokus nicht auf die Touristinnen und Touristen zu legen, sondern diese lediglich als Kontrast zu nutzen. Dieser Kontrast wurde stärker, als die Touristinnen und Touristen nicht mehr da waren, weil sich Scharm el-Scheich durch ihre Abwesenheit als riesige Projektionsfläche offenbarte, als eine Art Bühne, auf der alle eine Rolle annehmen, die bekannte Gewohnheiten und Verhaltensweisen herausfordert. Die durch das Verschwinden der Feriengäste verursachte Leere macht deutlich, wie das Leben in Scharm el-Scheich die jungen ägyptischen Angestellten verändert hat.

FANN: Scharm el-Scheichs Bühnencharakter zeigt sich im Film auch in der bizarren Ästhetik des Ortes.

Marwan Omara: Als wir Scharm el-Scheich zum ersten Mal zusammen besucht haben, hat uns der Ort schockiert. Wir hatten das Gefühl, dass es sich um eine noch verrücktere Version von Disneyland handelt, wo Dinosaurier-Figuren auf Tausendundeine-Nacht-Kulissen treffen. Das spiegelte für uns die Identitätskrise wider, die unsere Protagonistinnen und Protagonisten erleben, denn sie gehören nicht hierher, sie sind hier wie Zugewanderte im eigenen Land. In unserem Film wollten wir also auch zeigen, wie die Stadt auf die Figuren Einfluss nimmt. Deswegen war uns wichtig, den Ort in seiner Statik darzustellen und uns von dort aus den Figuren anzunähern.

FANN: Dreamaway ist eine Mischung aus Dokumentation und Fiktion. Warum haben Sie sich für dieses Format entschieden?

Marwan Omara: Politisch betrachtet war das notwendig, weil Dokumentarfilme in Ägypten problematisch sind, egal ob sie von Wasser, Landwirtschaft oder Gesundheit handeln. Wir wollten unsere Themen klug umsetzen, um eventuelle Einschränkungen zu umgehen. Uns war wichtig, unseren Film in Ägypten zeigen zu können, sowie unsere Protagonistinnen und Protagonisten vor möglichen Konsequenzen zu schützen. Die Mischung aus Dokumentation und Fiktion hat uns all das erlaubt. Trotzdem habe ich bis zum Ende gefürchtet, dass der Film zensiert wird. Doch es hat geklappt und Dreamaway ist sechs Wochen lang im Kino sowie auf vier Festivals in Ägypten gelaufen. Das Format macht unseren Film jedoch nicht weniger authentisch, denn schließlich sind alle Filme Fiktion. Sobald eine Kamera da ist, manipuliert man die Situation.