2010 fährt Naziha Arebi im Alter von 25 Jahren zum ersten Mal nach Libyen und verliert sofort ihr Herz an das Land. Die Tochter einer Britin und eines Libyers war in England aufgewachsen und hatte dort eine Theaterausbildung sowie einen Master in Bildgestaltung und Film absolviert. 2012 zieht sie nach Libyen und findet ihr Zuhause in der damals stetig wachsenden Künstlerszene von Tripolis. In diesem Jahr beginnt sie auch mit Freedom Fields. Damals als kurzes Projekt angedacht, filmt sie ein Frauenfußballteam in Tripolis letztlich über fünf Jahre hinweg. Der Film ist nicht nur ein einmaliges Zeugnis und eine alternative Darstellung der libyschen Revolution, sondern dokumentiert auch Arebis eigene Entwicklung als Filmemacherin und junge Libyerin. Weltpremiere hatte Naziha Arebis Freedom Fields im September 2018 auf dem Internationalen Filmfestival in Toronto.

Der Fußball in den Zeiten der Revolution

Freedom Fields bietet tiefe Einblicke in das Leben dreier Fußballspielerinnen: Halima, eine Medizinstudentin mit viel Elan und einer Vorliebe für Eis, Fadwa, eine Ingenieurin mit viel diplomatischem Geschick und Nama, welche ursprünglich aus Tawarga kommt und so wie etwa 40.000 weitere Menschen im Zuge des Krieges 2011 aus ihrer Heimat vertrieben wurde. Die privaten Schicksale der Frauen werden im Film parallel zu den machtpolitischen Narrativen von Milizen erzählt. Filmisch stellt Arebi einen Bezug zwischen beiden her, indem sie zum Beispiel Nachrichtensequenzen zeigt, welche die Frauen selbst mitverfolgen. So erzählt Freedom Fields eine Geschichte über libysche Frauen aus den Augen libyscher Frauen. Die Protagonistinnen sprechen für sich selbst. Auch die Musikauswahl orientiert sich an den Liedern, welche die Frauen selbst hören und mitsingen. Und was nicht gesagt wird, das wird gezeigt: Brautkleider, Bazin (ein libysches Nationalgericht) und Medizinstudium gehören ebenso zum Film wie Trikots und Fußballschuhe.

Transparenz und Ehrlichkeit sind Arebis Waffen. Als Dokumentarfilmerin entschied sie sich, die Protagonistinnen gleichsam auch an ihrem eigenen Leben teilhaben zu lassen. Vollkommene Offenheit gegenüber den Familien der Frauen sowie ihre eigene hybride Identität ermöglichten ihr das Undenkbare. Sie filmte die Frauen über fünf Jahre hinweg in all ihren Lebenslagen: Zu Hause, wenn während der Stromausfälle Bomben zu hören sind, beim Joggen auf Tripolis‘ überfüllten Straßen, singend und schimpfend beim Autofahren, in kurzen Hosen auf dem Fußballfeld oder im andauernden Streit mit der Football Federation. Die Filmemacherin bleibt stets an der Seite der Frauen, auch in gefährlichen Situationen, manchmal rennend und manchmal mit der Kamera versteckt unter dem Autositz.

Filmausschnitt Freedom Fields

Filmausschnitt Freedom Fields © Promo

Immer nur Jungs

Denn so einfach ist der Alltag einer Fußballerin in Libyen nicht. Obwohl viele der Frauen von ihren Familien unterstützt werden, versuchen Milizen das Team einzuschüchtern und verbreiten den Gedanken, dass ein Frauenfußballteam nur der Anfang eines moralischen Verfalls sei. „Wir haben Spielerinnen aus allen Teilen Libyens, aus geachteten und aus konservativen Familien“, erklärt Fadwa der Football Federation, die das Team nicht an Turnieren in Deutschland teilnehmen lässt. „Es gibt welche mit Abschlüssen in Medizin, Sprachen oder Wirtschaft. Wir sind nicht nur Mädchen, die nichts anderes zu tun haben, außer Fußball zu spielen.“

Freedom Fields vermeidet es gezielt, die Frauen zum Objekt eines feministischen Projekts zu machen. Stattdessen breiten sich nach und nach die ineinander verwobenen Schichten weiblicher Alltagsrealitäten vor den Augen des Publikums aus: Die Protagonistinnen sollen sich zwischen Fußball und Heiraten entscheiden, sie dürfen nicht allein auf eine Weiterbildung als Torwartin in den Senegal fliegen und ihnen wird vorgeworfen, zu kurze Hosen auf dem Fußballfeld zu tragen. „Immer nur Jungs, Jungs, Jungs“ bricht es voller Verzweiflung aus Halima heraus, während die Nationalmannschaft der Männer 2014 die African Nations Championship gewinnt.

Filmausschnitt Freedom Fields

Filmausschnitt Freedom Fields © Promo

Freiheit auf dem Feld

Zwischen schallendem Gelächter und verzweifelten Tränen greift der Film außerdem die Stimmung Libyens seit 2012 auf. Nach anfänglichem Enthusiasmus folgt mit dem Ausbrechen eines neuen Krieges 2014 die bittere Enttäuschung. Die Gewalt zwischen Milizen und radikalen Terrorgruppen macht das Leben in Libyen schwierig und undurchsichtig, die Hoffnungen der Bevölkerung auf Frieden und Stabilität werden enttäuscht. Konservative Auslegungen von Religion dringen zunehmend in den Alltag der Fußballspielerinnen vor. Gefangen in einem permanenten Rechtfertigungsdruck gegenüber der Gesellschaft, den Medien und der Football Federation, rennen sich die jungen Frauen auf dem Fußballfeld frei von gesellschaftlichen Hierarchien und von Angst.

Filmausschnitt Freedom Fields

Filmausschnitt Freedom Fields © Promo

Mit ihrem ersten Langfilm stellt Naziha Arebi ihr ganzes Talent als junge Filmemacherin unter Beweis. Ihr geschultes ästhetisches Bewusstsein sowie ihr libysch-britischer Hintergrund erlauben es ihr, subtil mit vielschichtigen Bedeutungsebenen von Gender und libyscher Identität zu spielen und dabei stets einen außergewöhnlich berührenden Stil zu wahren. Freedom Fields bietet inhaltlich sowie filmisch eine verborgene Sicht auf Libyen.

Der Film wird am 24. September in Anwesenheit einer der Protagonistinnen in Berlin gezeigt (um 20:30 Uhr, Kino in der Kulturbrauerei) und in Anwesenheit von Naziha Arebi am 25. September in Münster (um 18:45 Uhr, Cineplex) sowie am 26. September in Köln (um 19:30 Uhr, Filmforum NRW).