Die Comiczeichnerin Deena Mohamed wurde 2013 durch ihren feministischen Superhelden-Comic Qahera bekannt, der auch auf Englisch erschien. Seit 2018 steht ihre erste Graphic Novel Shubeik Lubeik in den ägyptischen Buchhandlungen. Das Buch ist der erste Teil einer Fantasy-Trilogie. Sie spielt in einer fiktiven Stadt, die genauso aussieht wie das moderne Kairo. Der kleine Unterschied: In dieser Welt kann man Wünsche kaufen. Es gibt Wünsche erster, zweiter und dritter Klasse. Je teurer der Wunsch, desto höher ist die Qualität der Erfüllung. Drei seltene Wünsche erster Klasse liegen an Shukris Kiosk zum Verkauf. Im ersten der drei Comicbände folgen wir Aziza, einer armen Frau, die dringend einen der wertvollen Wünsche erwerben möchte.
FANN: Wie würdest du deinen Stil beschreiben?
Deena Mohamed: Mein Stil ist ägyptisch. Ägyptische Comics sind ähnlich wie die belgischen sehr karikaturistisch. Gesichtszüge und -ausdrücke werden stark betont und teilweise übertrieben dargestellt. Außerdem ist ägyptische Kunst folkloristisch. Sie ist nie elitär, nie schwer zu verstehen. Sie kann trotzdem sehr komplex sein, aber eben geradlinig. In meiner Graphic Novel Shubeik Lubeik wollte ich eine moderne, urbane Version ägyptischer Folklore schaffen. Dazu füge ich ein bisschen Manga und ein bisschen amerikanischen Comicstil hinzu: eine Fusion von allem, was ich als Kind gelesen habe.

Doppelseite aus Shubeik Lubeik. © Deena Mohamed
FANN: Was ist besonders an der ägyptischen Comicszene?
Deena Mohamed: Das Besondere an der Szene ist, dass sie schon immer stark in der Satire und dem politischem Dissens verwurzelt war. Bis heute sind die meisten Zeichner antiautoritär. Der erste Comic richtete sich schon Ende des 19. Jahrhunderts gegen den Kolonialismus. Die Karikatur- und Comicszenen sind in Ägypten eng miteinander verbunden. Und da sie klein sind, kann man genau nachvollziehen, wie die Zeichner einander beeinflusst und das Satirische weitergegeben haben.

© Deena Mohamed
FANN: Es wird oft behauptet, dass Comics erst mit der Revolution 2011 so richtig in Ägypten Erfolg hatten. Du sagst hingegen, dass sie schon viel älter sind.
Deena Mohamed: Ich selbst war damals 16 und wurde gerade erst wirklich Comickünstlerin. Ich weiß nicht, ob ich das auch ohne Revolution geworden wäre. Das Revival des modernen Comics in Ägypten fand schon vor der Revolution statt, nämlich 2008 mit Metro von Magdy El-Shafee. Es hängt aber alles zusammen. Die Leute, die Metro gelesen haben, waren später Teil der Revolution. Das waren die Leute aus der Blogosphäre. Und die Revolution hat wiederum viel mehr Raum für Kreativität geschaffen. Es gab zum Beispiel mehr Förderungen. In der Zeit spielte auch das Internet eine große Rolle. Das ermöglichte mir 2013 meinen ersten Comic online zu teilen. Dass er sich so schnell verbreitete, hatte sicher etwas mit dieser speziellen Zeit zu tun.
FANN: In deinem Webcomic, der 2013 erschien, geht es um die feministische Superheldin Qahera. Sie kämpft sowohl gegen konservative, muslimische Männer als auch gegen westliche Femen-Aktivistinnen. Was haben diese gemeinsam?
Deena Mohamed: Beide hören muslimischen Frauen nicht zu. Wenn ich einen Comic poste, in dem ich konservative muslimische Männer kritisiere, wird definitiv eine westliche Feministin ankommen und sagen, der Islam sei böse. Gleichzeitig bin ich eine muslimische Frau und finde den Islam nicht böse. Ich darf meine Kultur kritisieren, so viel ich möchte, aber sie kann meine Kultur nicht kritisieren, so viel sie möchte. Für ägyptische oder muslimische Frauen ist es sehr schwierig, etwas innerhalb ihrer Kultur zu kritisieren, ohne dass sich jemand einmischt und die Kultur als Ganzes verteufelt. Wir wollen etwas verändern, ohne unsere Identität zu verleugnen. So stecken wir häufig fest zwischen Misogynie und Imperialismus.
FANN: Qahera trägt Kopftuch, genauso wie viele deiner Figuren. Warum ist dir das wichtig, obwohl du selbst keins trägst?
Deena Mohamed: Wenn ich ägyptische Figuren zeichne, möchte ich, dass sie die Gesellschaft widerspiegeln. Die meisten Menschen, die ich kenne, auch sehr viele Feministinnen und Freunde von mir, sind verhüllt. Sie sollen in meinen Comics auftauchen, weil sie ohnehin schon unterrepräsentiert sind und zum Beispiel in den Medien gar nicht vorkommen. Ich versuche etwas zu zeichnen, womit die Leute sich identifizieren können. Ich zeichne natürlich auch viele Figuren, die nicht verhüllt sind, aber die fallen nicht auf.
FANN: Im ersten Teil von Shubeik Lubeik geht es um Aziza, eine sehr arme Frau, die hart arbeiten muss, um sich einen Wunsch leisten zu können. Du selbst kommst aus einer Ärztefamilie, einem ganz anderen Milieu also. Wie recherchierst du solche Figuren?
Deena Mohamed: Die Gesellschaft in Ägypten ist stark in Klassen gespalten, was ich sehr bedauere. Von Menschen, die nicht privilegiert sind, kann man viel lernen, denn sie wissen genau, was Ungerechtigkeit bedeutet. Ich kann nicht behaupten, dass ich das Milieu meiner Protagonistin Aziza genau kenne, aber das geht ja allen Autorinnen und Autoren so, die nicht autobiographisch schreiben. Ich versuche mich aus meiner Blase herauszubegeben und meine Umgebung aufmerksam wahrzunehmen. Außerdem suche ich nach den Gemeinsamkeiten, die Aziza und ich haben: Wir haben zum Beispiel beide große Angst davor, einen Fehler zu machen und diesen lange zu bereuen.
FANN: Erreichen Comics in Ägypten nur Menschen aus einer bestimmten Bildungsschicht?
Deena Mohamed: Also eigentlich erreichen Comics in Ägypten niemanden. Es gibt vielleicht fünf Leute in Alexandria und zehn in Kairo, die Comics lesen. Naja, das ist etwas übertrieben, aber diese Indie-Kunst-Underground-Leute in Downtown sind schon das einzige Publikum. Dabei sind Comics nicht teuer und Veranstaltungen oft kostenlos, aber sie finden an Orten statt, die nur die wenigsten kennen. Es ist noch ein langer Weg, bis Comickünstlerinnen und -künstler in Ägypten Gewinn machen können. Die meisten zeichnen momentan neben ihrem Vollzeit-Job. Man braucht also eine Förderung, um das Feld zu vergrößern, aber das Feld ist zu klein, um die zu bekommen.
FANN: Qahera war ein eindeutig feministischer Comic. Shubeik Lubeik hingegen ist eine Fantasy-Geschichte, in der soziale Probleme zwar omnipräsent sind, aber eher die Kulisse bilden. Warum?
Deena Mohamed: Der erste Comic war eigentlich eher eine Karikatur. Die Superheldin war nur dazu da, soziale und politische Themen auszudrücken. In meiner Graphic Novel geht es nicht um die soziopolitischen Themen, sondern um Aziza und ihre Entscheidungen. Die Handlung dient der Figur und nicht andersherum. Gleichzeitig kann man keine gute Geschichte schreiben, wenn man die Realität um sich herum ignoriert. Comics in Ägypten sind nicht so offensichtlich politisch wie man vielleicht denkt. Es ist nicht so, dass jemand gegen die Regierung kämpft und deswegen einen Comic zeichnet. Es ist einfach Teil unserer Identität, Witze über Politik zu machen, die Welt um uns herum zu reflektieren und Kunst zu machen, die relevant ist.

Doppelseite aus Shubeik Lubeik. © Deena Mohamed
FANN: Du hast die Shubeik Lubeik-Trilogie an den amerikanischen Verlag Pantheon Books verkauft, der auch Persepolis von Marjane Satrapi veröffentlicht hat. Funktioniert so ein folkloristisches Buch überhaupt auf Englisch?
Deena Mohamed: Ich habe den Comic selbst übersetzt und fand ihn furchtbar, weil so vieles auf Dialekt basiert und im Englischen nicht rüberkommt. Ich habe das Buch für ein ägyptisches Publikum geschrieben. Da wundert sich dann auch niemand darüber, dass Aziza plötzlich im Gefängnis landet. Jeder hier findet das normal. Viele der ausländischen Verleger verstanden erstmal nicht, worum es geht und was passiert. Ich musste einiges nachträglich erklären und mehr Kontext vermitteln. Die englischen Leserinnen und Leser werden natürlich nicht wissen, was ihnen durch die Übersetzung entgeht.
FANN: Der erste Teil der Trilogie ist in Ägypten bereits erschienen, worum wird es im zweiten und dritten gehen?
Deena Mohamed: In jedem Band geht es um einen der drei Wünsche, die Shukri an seinem Kiosk verkauft. Der zweite Band handelt von einer Person, die sehr privilegiert lebt und an der Uni Wünsche studiert. Die Person kauft sich ohne Weiteres einen Erste-Klasse-Wunsch, weil sie reich ist. Danach weiß sie aber nicht, was sie damit machen soll. Ganz anders als Aziza, die genau weiß, was sie will, aber sich den Wunsch viele Jahre lang erarbeiten muss. Man erfährt übrigens nie, welches Geschlecht die Person hat. Auch so eine Frage: Wenn man Wünsche kaufen könnte, welches Geschlecht hätten Menschen dann? Das wird eine große sprachliche Herausforderung, weil Arabisch nicht gender-neutral ist. Ich werde also alle Sätze so formulieren, dass man das Geschlecht umgeht. Im dritten Buch spielt dann Shukri die Hauptrolle, dem der Kiosk mit den Wünschen gehört. Dabei wird es viel um seine religiöse Erziehung gehen, die ihm eigentlich verbietet, Wünsche zu benutzen. Weil er eine Freundin retten will, stellt er seine Prinzipien in Frage.

Deutsche Journalistin und Übersetzerin.