„Ich mag es, Gesichtern eine Tiefe zu verleihen“, sagt die libysche Künstlerin Faiza Ramadan. „Du siehst eine Person und zugleich ihr Leiden und ihre Emotionen.“ Ausdrucksvolle Augen, kontrastierende Farbgebung und eine dynamische Pinselführung machen es schwer, den Blick von Faiza Ramadans Bildern zu lösen. Doch der Weg bis zur Vollendung eines jeden Werkes erzählt auch eine Geschichte: Die einer jungen Frau, die verarbeitet, was unüberwindbar scheint, ebenso wie die Geschichte eines Landes, welches versucht tief zu einzuatmen, während ihm von allen Seiten die Luft abgeschnürt wird.
Malen statt Meetings
Faiza Ramadan wuchs als Tochter eines Libyers und einer Ghanaerin in Tripolis auf, wo sie auf eine internationale Schule ging. Die Einflüsse durch ihre Umgebung waren so divers wie heute der Stil ihrer Bilder. Postmoderne, expressive und abstrakte Darstellungen libyscher Ikonen und panafrikanischer Hoffnungen finden sich in ihrer Malerei ebenso wie Reflexionen auf globale Popkultur. Zu ihren Bewunderern gehören neben anderen libyschen Künstlern vor allem Exil-Libyer und zunehmend Menschen aus allen Teilen der Welt.

Faiza Ramadan bei der Arbeit. © Faiza Ramadan
Ramadan malt seit ihrer Kindheit, doch die Revolution in Libyen 2011 habe sie sehr beeinflusst. „Letztlich gehen alle guten Dinge aus Leid hervor,“ sagt sie. Als der Arabische Frühling in Libyen begann, malte Ramadan politische Karikaturen. „Es war eine Chance“, erinnert sich die Künstlerin. „Vor der Revolution hatte ich einen sehr guten Job. Ich reiste viel und fuhr zu Meetings, sodass ich keine Zeit hatte, über meine Kunst nachzudenken. Als dann die Revolution begann, verlor ich meinen Job und hatte das Gefühl, wieder malen zu wollen. Nachdem ich begonnen hatte, wusste ich, dass ich nicht zurück in die Wirtschaft wollte. Ich hatte meinen Platz gefunden.“
Faiza Ramadan malt, was ihr begegnet. Ihre Inspiration zieht sie oft aus dem alltäglichen Leben, wie zum Beispiel für ihr Bild The Meeting: „Ich fuhr gerade mit dem Auto, als ich eine Gruppe älterer Männer vor einer geschlossenen Bank auf dem Bordstein warten sah. Wenn ich etwas sehe, dass mich bestürzt oder beschäftigt, dann male ich es. Und hier in Libyen gibt es vieles, was man malen kann, wegen all des Schmerzes“, so Ramadan. Malen sei für sie wie eine Therapie.
Ein anderes Bild von Libyen zeichnen
Ramadans Kunst erzählt aber nicht nur von Schmerz, sondern auch von starken Frauen wie der Königin Fatimah, die sie 2019 malte. Die Regierungszeit ihres Ehemanns König Idris, von 1951 bis 1969, wird in Libyen als friedvolle Zeit wahrgenommen, eine Zeit in der Libyen nach zwanzig Jahren Unabhängigkeitskrieg erstmals geeint war: „Oft sieht man die Frauen von Königen und Präsidenten in der arabischen Welt nicht“, erklärt Ramadan. „Aber Königin Fatimah war fast immer an der Seite von König Idris. Mit ihrem Kurzhaarschnitt verkörpert sie für mich die freien, schönen und eleganten libyschen Frauen. Deswegen bewundere ich sie.”
Knapp 60 Jahre später gibt es kaum eine angemessene mediale Repräsentation libyscher Frauen, weder innerhalb noch außerhalb Libyens. Der einseitigen Darstellung eines von Milizen besetzten und maskulin dominierten „gescheiterten Staates“ bietet Faiza Ramadan wie viele andere libysche Künstlerinnen und Künstler auf Instagram die Stirn. So macht sie auch außerhalb der Kunstszene von Tripolis auf ihre Arbeit aufmerksam.
„Ich habe Kunst immer als Hobby betrieben und kann mich auch jetzt noch nicht als professionelle Künstlerin bezeichnen“, sagt sie. „Ich möchte noch mehr lernen und bedauere, dass ich nicht Kunst studiert habe. Am liebsten würde ich nach Berlin gehen. Die Stadt ist wie ein riesiges Kunstzentrum – und frei.“