Von März bis Juni 2018 werden die Werke des syrischen Kalligrafen Mouneer Al Shaarani in Berlin gezeigt. Die Soloausstellung „Calligraphic Rhythms“, die im BOX Freiraum zu sehen sein wird, ist in Zusammenarbeit mit dem Museum für Islamische Kunst entstanden. Auf dem Begleitprogramm stehen u.a. Workshops und Vorträge mit Alshaarani und den Typografen Lucas de Groot und Rik Watkinson.

Dina Abol Hosn hat Mouneer Al Shaaranis Gedanken zur Ausstellung für uns gesammelt:

Wer meine Werke betrachtet, sieht, dass mein Fokus von Anfang an derselbe geblieben ist. 1979 war ich gezwungen, Syrien zu verlassen, weil ich verfolgt wurde. Deshalb habe ich in meinen Kalligrafien viele Zitate verwendet, die sich auf die Freiheit, den Menschen an sich und die Kämpfe beziehen, die man im Leben ausfechten muss. Meistens entsprechen sie meinen persönlichen Überzeugungen und sind nicht nur gewöhnliche Redewendungen, wie sie oft von Kalligrafen geschrieben werden. Eine Ausnahme sind meine Werke, die eine Antwort auf die Behauptung einiger Kollegen sind, manche Zitate seien so oft geschrieben worden, dass man mit ihnen nichts Neues mehr machen könne. Deswegen habe ich zum Beispiel den Vers „Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzigen“ auf elf verschiedene Arten geschrieben.

Kalligrafie entsteht durch Zivilisation, nicht Religion

Es war mir schon immer wichtig, die Aufmerksamkeit auf zwei Dinge zu lenken: Erstens hat die arabische Kalligrafie nichts mit Religion zu tun. Sie ist das Ergebnis einer Zivilisation und nicht einer Religion. Die Religion profitierte von der Kalligrafie und nicht umgekehrt. Die Entwicklung der arabischen Schrift wurden nicht von der Religion angestoßen, sondern vom Staat der Umayyaden. Damals wollte man die verschiedenen Staatsbehörden arabisieren und hatte gleichzeitig das Bedürfnis, alles zu dokumentieren. Mit dem Beginn der Übersetzungsbewegung (aus dem Altgriechischen ins Arabische, AdR) entstand der Wunsch, in einer neuen Form zu schreiben. Deshalb entwickelte sich die Schrift weiter. In dem Maße, wie die Zivilisation erblühte, entwickelten sich die Künste und damit auch die Kalligrafie. Sie ist ein Teil der – meiner Meinung nach misslich benannten – „arabisch-islamischen“ Künste.

Zweitens ist die Kalligrafie eine Kunst. Sie kennt weder Endgültigkeit noch Höhepunkt. Die arabische Schrift hat für mich keinen „heiligen“ Status – ich will genau diesen Käfig aufbrechen, der in der Zeit der Osmanen um die Schrift herum errichtet wurde. Diese Überzeugung habe ich auf der Grundlage historischer Fakten und Schriften entwickelt, wie ich es auch mit meinen Kunstwerken mache.

Kunst muss in Beziehung zur Gesellschaft stehen

Manchmal höre ich ein Zitat, das ich vorher nicht kannte, und sehe es gleichzeitig – so als würde es vor meinen Augen gemalt. Manchmal fällt mir auch ein Vers plötzlich als Bild ein und zwingt mich, ihn sofort in eine Kalligrafie zu verwandeln. Eine meiner ersten Kalligrafien war ein Vers von Ibn Arabi: „ Kunst, die nichts zum Wissen beiträgt, kann nicht ernstgenommen werden.“ Ich hatte ihn ausgesucht, weil ich damals überzeugt war und es auch heute noch bin, dass Kunst zu einem ungerechtfertigten Luxus wird, wenn sie nicht in Beziehung zur Gesellschaft steht. Eine Ästhetik, die vom Menschen und seinem Leben isoliert ist, überzeugt mich nicht. Die Zitate in meinen Kalligrafien sind keine Lehrsprüche, sondern Aufforderungen zum kritischen Nachdenken. Die Zeichnung schafft einen visuellen Zugang, der den Betrachter anregt, über die bildlichen und moralischen Aspekte der Kalligrafie nachzudenken.

Besonders in den letzten sieben Jahren habe ich mehrere Kalligrafien angefertigt, die aktuelle Themen aufgreifen. Zum Beispiel habe ich das Wort „Syrien“ so geschrieben, dass es aus den Namen der verschiedenen, hier beheimateten Religionen aufgebaut ist: Wenn ein Element gelöscht wird, zerbricht die Form der Kalligrafie. Das Gleiche würde mit Syrien passieren, wenn eins seiner Teile gelöscht würde. Diese Kalligrafie wäre nie entstanden, wenn genau das Thema nicht in den letzten Jahren aktuell geworden wäre.

Am Beginn meiner Karriere standen politische Slogans

Am Anfang meiner künstlerischen Karriere war ich sehr politisch. Meine Überzeugungen sind im Großen und Ganzen noch heute dieselben. Werte wie Gerechtigkeit, Freiheit, Recht, das Gute und Schöne bilden das Fundament meines Lebens, meiner Erfahrung und meiner künstlerischen Arbeit. Schon meine Bachelorarbeit war politisch, was damals außergewöhnlich war. Ich hatte Plakate mit Slogans gegen Unterdrückung und Militarismus gestaltet. Damit fing meine künstlerische Karriere so richtig an. Danach arbeitete ich als Buchgestalter und habe manche Aufträge abgelehnt, die ich mit meinen Überzeugungen nicht in Einklang bringen konnte. Deswegen habe ich auch nie kommerzielle Aufträge, z.B. aus der Werbung, angenommen. Meistens arbeite ich an Büchern oder entwerfe Logos für Verlage und Kulturveranstaltungen. Ich habe viele Buchcover gestaltet, auch unter dem Decknamen Emad Halim, den ich zwischen 1979 und 1982 nach meiner Flucht nach Beirut benutzten musste.

Es ist für mich unabdingbar, dass zwischen meinen Überzeugungen und meiner Arbeit kein Widerspruch besteht – auch dann, wenn mein Einkommen davon abhängt. Ohne diese Widerspruchslosigkeit kann man weder erfolgreich sein, noch zufrieden mit sich und seinem Beitrag zum großen Ganzen.

Übersetzung: Ibrahim Mahfouz