Ein paar Freunde haben mir einen Videoclip geschickt, in dem zwei unterschiedliche Aufnahmen übereinander montiert worden sind. Der obere Ausschnitt zeigt eine nicht arabische Lehrerin, die ihre kleinen Schüler an der Klassentür empfängt, mit ihnen tanzt, sie anlächelt und umarmt. Im unteren Ausschnitt sieht man einen arabischen Lehrer, der seine Schüler, die sich in einer Reihe auf dem Schulhof aufgestellt haben, bestraft. Es geht hier nicht nur um den direkten Vergleich zwischen den Erziehungsmethoden in der arabischen und der westlichen Welt. Dieses Video macht deutlich, dass die Qualen, die wir in den arabischen Ländern über Generationen hinweg ertragen mussten und die allgemein „Erziehung“ genannt werden, keinesfalls der Vergangenheit angehören.

Wer sich den Clip anschaut, kommt wahrscheinlich zu dem Schluss, dass die bestraften Schüler vom Land kommen. Abgemagert stehen sie in einer Reihe, ganz wie Häftlinge, und warten verängstigt darauf, von ihrem eleganten Lehrer geohrfeigt zu werden. Sie reiben sich die Hände, als wollten sie einen Flaschengeist beschwören, sie vor diesem schrecklichen Moment zu bewahren, der sich jeden Morgen wiederholt. Ein besonders schlauer Schüler dreht sein Gesicht schwungvoll mit der Hand des Lehrers mit, so als hätte ihn die verdiente Ohrfeige voll erwischt. Der mindestens 20 Jahre ältere Lehrer ist jedoch genauso schlau. Er beherrscht sein Handwerk, ist auf der Hut und merkt sofort, dass der verängstigte Schüler nur schauspielert. So ohrfeigt er ihn strahlenden Auges gleich noch einmal.

Hamid Sulaiman Illustration

© Hamid Sulaiman

Einer nach dem anderen treten die Häftlinge vor ihren Henker, der tatsächlich glaubt, erzieherisch zu handeln, selbst wenn ihm die Versager unter den Eltern nicht länger folgende Aufforderung geben, die sich bei der Einschulung, dem eigentlichen Beginn des Militärdienstes, wie eine Schlinge um dünne Kinderhälse legt: „Nimm sie als Fleisch und Blut und gib sie uns als Knochen zurück.“

In der Kindheit jedes einzelnen von uns leuchten diese Qualen wie rote Blasen. Wir kleiden sie in Witze über eine Vergangenheit, die weiterhin existiert. Das Problem ist, dass sich niemand, dem wir von unseren Leiden erzählen, sonderlich schockiert zeigt. Ganz im Gegenteil: Die meisten spornt es dazu an, lachend von den Qualen ihrer eigenen Schulzeit zu erzählen, selbst wenn sie einer ganz anderen Generation angehören.

Löcher im Hosenboden waren keine Seltenheit

In der Grundschule beleidigte uns die Schuldirektorin jeden Morgen vor Beginn des Unterrichts. Vielleicht tat sie das, weil wir Städter waren und nicht vom Land kamen: „Ihr Hunde!“, schrie sie uns an, von den Sechs- bis zu den Zwölfjährigen hinauf, die kleine Gruppe ewiger Sitzenbleiber eingeschlossen. Zu unserem Unglück trug sie gern hohe Absätze, weshalb manche von uns mit Löchern im Hosenboden nach Hause gingen.

An jener Grundschule unterrichteten nur Frauen. Trotzdem hätte niemand von uns Aufnahmen wie die von der nicht arabischen Lehrerinn im oben genannten Videoclip machen können. Die meisten unserer Lehrerinnen waren liebevoll, aber auch ausgesprochen launisch. Wir verstanden damals nicht, wie ein mysteriöses Sternzeichen eine Person den ganzen Tag über kontrollieren könne. Unter unseren Lehrerinnen waren alleinstehende, geschiedene und verheiratete Frauen. Oftmals war ihre Gewalttätigkeit eine Reaktion auf die Stürme in ihrem Privat- und Familienleben. Wir Unschuldigen mussten darunter leiden.

Hamid Sulaiman Illustration

© Hamid Sulaiman

An der Mittelschule mussten wir Militäruniformen tragen, so als würden wir in den Krieg ziehen. Im Fach Militärkunde sahen wir unserem Lehrer dabei zu, wie er einen Mitschüler mit einer speziell angefertigten Peitsche schlug. Trotz der wiederholten Hiebe fiel der Mitschüler nicht zu Boden. Dies galt als unverschämtes Verhalten eines jungen Schülers gegenüber seinem älteren „Erzieher“. Vielleicht deshalb schlug der Lehrer ihn mit der Hand ins Gesicht und zwang ihn dazu, seine Militärstiefel auszuziehen. Er band den Schüler mit dem Kopf nach unten auf einem Stuhl fest und schlug mit der Peitsche auf seine nackten Fußsohlen.

Jener Lehrer wurde an eine andere Schule versetzt, nachdem die Familie des betroffenen Schülers sein Haus gestürmt hatte. Aber wozu all diese Peitschenhiebe und qualvollen Drills, die wir im Militärkundeunterricht hockend, liegend und halbnackt in eisiger Kälte absolvieren mussten? Reichte es nicht, jeden Morgen die Parolen der Baath-Partei herunterzubeten?

Die Brutalität gipfelte in den Kasernen

Je älter wir wurden, desto barbarischer wurde unsere Erziehung. Sie gipfelte in den Kasernen, in denen Zivilisten Militärdienst leisten mussten. Es war ganz normal, die Leiche des eigenen Sohnes von dort zurückgeschickt zu bekommen, auch wenn gar kein Krieg herrschte. Es war ebenfalls normal, wenn ein Soldat schwor, als erstes den befehlshabenden Offizier seiner Einheit zu töten, käme es zum Krieg mit Israel.

Aber lasst uns noch einmal einen Blick auf den Videoclip werfen, diesen scheinbar witzigen Vergleich zwischen westlichen Schulen und den unseren, die doch eher Konzentrationslager gleichen. Nicht vergessen sollte man dabei, dass die „zivilisierte“ Welt Körperstrafen in Schulen erst vor einigen Jahrzehnten abgeschafft hat. Die meisten Europäer verbinden also weiterhin schlechte Erinnerungen mit Schulen und Kasernen, ja sogar mit Kirchen und dem eigenen Elternhaus. Lasst uns Fragen stellen: Hat uns dieses Video schockiert? Was bedeutet „schockieren“ überhaupt? Wie können Schüler ihren Hass auf Erzieher, Lehrer und Ausbilder psychologisch verarbeiten? Ist das im Video Gezeigte barbarisch? Ist es barbarisch, einen Schüler ein- oder zweimal zu ohrfeigen?

Verletzungen in der Kindheit führen zu lebenslangen Traumata

Mit Sicherheit sind schon weniger als zwei Ohrfeigen barbarisch, wenn es um kleine Schülern geht. Fast könnte man meinen, sie verdienten humanitäres Asyl in dem zivilisiertesten aller Länder, damit ihre Verletzungen heilen und sich nicht in lebenslange Traumata verwandeln. Eine Heilung von letzteren ist unmöglich.

Wenn ich an unsere Schulzeit zurückdenke, finde ich keine logische Erklärung dafür, dass wir nicht verrückt geworden sind. Wir leben weiter und ziehen unser Kinder groß, obwohl wir traumatisiert sind. Die Erziehung unserer Kinder gleicht dem Prozess des Klonens: Wie oft haben wir ihr Leben durch eine Erziehung, die sie zu bloßen Klonen unserer selbst macht! Doch wissen wir, woher die versteckte innere Gewalt kommt. Sie wurzelt in den Erinnerungen an die Qualen unserer Kindheit, die immer dann hervorkommen, wenn wir in einer schwierigen Lage sind, selbst wenn diese unserem schrecklichen Leben von damals nicht gleicht.

Übersetzung: Rashad Alhindi