Kurz nach dem Ausbruch der syrischen Revolution wurde die Organisation Ettijahat – Independent Culture gegründet. Sie will die freie Kulturszene in Syrien und anderen arabischen Ländern aktiver gestalten und die Rolle der Kunst im Kontext von kulturellem, politischem und sozialem Wandel klarer definieren. Sieben Jahre nach der Gründung spricht Abdullah Al-Kafri, Dramatiker und Leiter von Ettijahat, über die Entwicklungen innerhalb seiner Organisation.

FANN: Wie kam es 2011 zur Gründung von Ettijahat?

Abdullah Al-Kafri: Pläne gab es bereits 2010, weil es in Syrien wie in allen anderen Ländern auch viele Künstler und Intellektuelle gibt, die außergewöhnliche und vielfältige Kulturprojekte durchführen. Es gibt aber nur wenige Vermittlungsinstitutionen, die sie unterstützen und integrativ in der freien Kulturszene arbeiten. Das hat uns dazu motiviert, unsere Arbeit mit freien Kulturschaffenden zu institutionalisieren. Dazu gehört die Unterstützung Einzelner, die Vermittlung von Kontakten zwischen Personen und Institutionen und Öffentlichkeitsarbeit auf regionaler und internationaler Ebene. Außerdem wollen wir Kunst an Syrerinnen und Syrer auf aller Welt herantragen.

FANN: Was hat Ettijahat in den letzten sieben Jahren erreicht?

Abdullah Al-Kafri: Wir haben vielen syrischen Künstlern die Möglichkeit gegeben, ihre Kunstprojekte fortzuführen, Kulturforschung zu betreiben, die Wichtigkeit von Kunst für die politische Gegenwart und Zukunft Syriens herauszuarbeiten und allgemein ein Bild von Syrien zu zeichnen, das man normalerweise nicht sieht.

FANN: Wie genau muss eine strukturelle Förderung der syrischen Kulturszene aussehen?

Abdullah Al-Kafri: Der Kulturbereich wird, wenn es um finanzielle und strukturelle Unterstützung geht, häufig vernachlässigt. Das fängt bei der Planung an und geht über Methoden und Verfahren der Kulturproduktion bis hin zu Rezeption und Publikumsvermittlung. Im Falle Syriens spielen Kulturinstitutionen eine wichtige Rolle, wenn es um den Wiederaufbau der Vielfalt und der Heilung von Verletzungen geht. Dieser Prozess kann auch problematisch sein, z.B. wenn es um unterschiedliche Auffassungen von Staat und nationaler Identität geht. Hinzu kommen die katastrophalen Lebensbedingungen vieler syrischer Geflüchteter und Zwangsvertriebener und natürlich die anhaltende stattliche Unterdrückung durch das Assad-Regime. Demgegenüber eröffnet das Ausweichen der syrischen Kulturszene ins Ausland, von den unmittelbaren Nachbarländern bis hin nach Europa, interessante Möglichkeiten. Auch in diesem neuen Umfeld bewahrt sich die syrische Kunst ihre Kontinuität.

FANN: Syrische Kulturschaffende sind in Berlin sehr präsent. Wie können sie diese Stadt bereichern?

Abdullah Al-Kafri: Syrische Künstler, die in Berlin leben, sind in der Kulturszene sehr aktiv. Einige von ihnen haben sogar die Möglichkeit, eigene Projekte zu starten. Berlin zeichnet sich durch seine Flexibilität und Effektivität vor anderen europäischen Hauptstädten aus. Die Stadt ist sehr vielfältig und in der Lage, neue Kulturen willkommen zu heißen und aufzunehmen. Vielleicht geht es aber nicht so sehr um den Beitrag, den syrische Künstler in Berlin leisten, sondern um das dynamische Umfeld, das mit der Zeit immer bessere Kunstprojekte entstehen lässt.

FANN: Welchen Problemen begegnen Sie bei Ihrer Arbeit am häufigsten?

Abdullah Al-Kafri: Da gibt es viele Dinge, z.B. die eingeschränkte Bewegungsfreiheit vieler syrischer Künstler, fehlende Arbeitserlaubnisse, die Anpassung an ein neues Umfeld, ein allgemein stark fluktuierendes Interesse an Kunst und Kultur… Diese Probleme sind für uns aber auch Chancen. Weil sich die räumliche Distanz zwischen Künstlern und Publikum als Hindernis erweist, arbeiten wir zusammen mit befreundeten Organisationen verstärkt im Bereich Publikumsgenerierung und -vermittlung. Die finanzielle Unterstützung der freien Kulturszene wird auch immer schwieriger. Deshalb versuchen wir, neue Strategien wie beispielsweise die „Botschafter-Initiative“ zu entwickeln. Daraus ist das Kunstforum MINA: Artistic Ports and Passages entstanden, das vom 30. November bis 3. Dezember 2017 in Beirut stattfand und an dem mehr als 30 Künstlerinnen und Künstler aus zehn Ländern teilgenommen haben. Wir sind Teil einer komplexen Szene, die wechselhaft und voller Herausforderungen ist.

Übersetzung: Rashad Alhindi