Als Sängerin und Texterin der Band Jamila & The Other Heroes setzt sich Jamila Al-Yousef mit einer Mischung aus traditionellen arabischen Klängen, Neosoul und psychedelischen Einschlägen für eine gleichberechtigte Welt ein. Im Interview erzählt die 30-Jährige, wie es ist, als junges Mädchen mit palästinensischen Wurzeln in Ostdeutschland aufzuwachsen, und wie sie mit Musik die Gemeinschaft stärken möchte.

Jamila Al-Yousef. © Carolin-Saage
FANN: Was macht Sie zur Heldin, Frau Al-Yousef?
Jamila Al-Yousef: Das Zusammenbringen von Menschen, die sich sonst nicht begegnen würden, und Themen sichtbar zu machen, die sonst weniger zugänglich sind, wie Perspektiven aus Nahost oder Nordafrika. Meine Eltern sind beide Ärzte, meine Mutter ist Deutsche und mein Vater Palästinenser. Als ich fünf Jahre alt war, zogen wir von Berlin nach Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern, nachdem mein Vater aufgrund seiner Herkunft ein Job abgesagt wurde. Ein Freund bot ihnen dort Stellen in einem Ärztehaus an. In Güstrow war ich auch rassistischen Anfeindungen von Mitschüler*innen ausgesetzt, wie dass mein Vater aus einem Land käme, in dem alle Kamelficker seien. Meine Überlebensstrategie war damals einfach machen: Musik, Theater, Zeitung. Ich wurde Teil eines Jugendrates, mit dem wir das Festival “Rockt die Jugend – pro Toleranz” gemacht haben. Auch aktivistisch waren wir unterwegs: Ein Thor-Steinar-Laden musste schließen und wir konnten eine Abschiebung verhindern.
FANN: Das heißt, Sie haben schon früh angefangen sich zu wehren.
Jamila Al-Yousef: Ja, ich hab zu Hause gelernt, mich gegen Ungerechtigkeit einzusetzen. Ich bin immer mit dem Bild in den Medien konfrontiert worden, dass Menschen mit arabischem Hintergrund automatisch Terrorist*innen sind oder zumindest unterentwickelt. Mir fehlte eine Repräsentation von mir, meiner Familie und so vielen anderen Menschen. Oft wird mir gesagt, dass ich nicht wie eine Palästinenserin aussehe: Weder sind meine Haare, meine Augen, noch meine Haut dunkel. Im Gegenteil: Meine Augen sind grünblau, meine Haare rot und ich bin, wie meine palästinensische Familie, hellhäutig. Ich will, dass es normal ist, dass unsere Identitäten hybride sind und nicht auf ethno-nationale, religiöse oder Gender-Kategorieren reduziert werden. Gleichzeitig bin ich mir dessen bewusst, dass es auch ein Privileg ist, als weiß gelesen zu werden – zumindest bis mein Name fällt.
FANN: Herkunft und Familie sind auch Schwerpunktthemen, die Sie und ihre Band „Jamila & The Other Heores“ in Ihrem gerade erschienen Debütalbum „Sit El Kon“ verhandeln. Eine bewusste Entscheidung?
Jamila Al-Yousef: Schon im Titel steckt Familie, „Großmutter des Universums“, in Anspielung auf einen Traum, in dem mir meine palästinensische Großmutter erschien, nach der ich auch benannt bin. Als eine Art Jedi-Figur hat sie mich bei sich im Universum in Sicherheit gebracht, um mich vor dem Bösen auf Erde zu schützen. Sie ist lange vor meiner Geburt verstorben, aber ich wusste sofort, dass sie es ist. Familie als Oberthema des Albums war nicht geplant, das hat sich so entwickelt, manchmal witzeln wir, dass unsere Band auch wie eine Gruppentherapie ist. Alle Songs verhandeln auch den Wunsch nach einem Ort von Gleichheit und Gerechtigkeit, wo echte Begegnung stattfinden kann.
FANN: Seit 2016 gibt es Ihre Band, in den letzten drei Jahren waren Sie viel am Touren im Nahen Osten, Nordafrika und Europa. Mit welchen Eindrücken sind Sie jetzt wieder in Berlin?
Jamila Al-Yousef: Ich sehe vor allem viel Ungerechtigkeit: Unsere Musiker Salam und Bilal, die beide aus Syrien nach Berlin geflohen sind, haben keinen deutschen Pass und können deshalb oft nicht mitkommen, weil ihnen die Einreise verweigert wird. Auch beschäftigt mich der Berlin-Hpye. Viele meiner Freund*innen aus Nahost leben mittlerweile hier, weil sie es in ihren Heimatländern aus politischen Gründen nicht mehr aushalten – manchmal frage ich mich, was dort passiert, wenn alle gehen? Wer macht dann die Arbeit, hält die subkulturellen Orte am Leben? Berlin als Stadt hat sich zu einem tollen Ort für arabische Künstler*innen entwickelt, viele hätten sich sonst gar nicht kennengelernt, auch wegen der Reiseeinschränkungen zwischen den Ländern in Nahost.

Jamila & the Other Heroes. © Carolin Saage
FANN: Als Ort des Austausches haben Sie 2010 das Kollektiv „Arab* Underground“ gegründet, das unter anderem beim Fusion-Festival Workshops, Konzerte und Kulturveranstaltungen organisiert hat, um diverse (Ein-)Blicke auf Nahost und Nordafrika zu werfen. Jetzt sind Sie ausgestiegen. Warum?
Jamila Al-Yousef: Als ich das Kollektiv gegründet habe, war ich noch Studentin. Mittlerweile habe ich nicht mehr die Zeit, ein paar Monate im Jahr das Projekt auf ehrenamtlicher Basis zu schaukeln. Auch das politische Klima auf der Fusion hat sich geändert. Es gab zunehmend anti-palästinensische Stimmen. Als wir eine Podiumsdiskussion zum Thema Zensur und BDS gemacht haben, bekamen wir viel Gegenwind. Wir sprachen uns nicht für die Bewegung aus, fanden aber, dass es wichtig ist, die Stimmen diverser Aktivist*innen und Künstler*innen hörbar zu machen, die sonst vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen werden. Für viele Palästinenser*innen, Jüd*innen und Israelis ist BDS ein common ground – gemeinsam sprechen sie sich gegen die Besetzung Palästinas aus, möchten gleiche Rechte für alle und eine Lösung in der Frage des Rückkehrrechts der Geflüchteten. Das kann und sollte man thematisieren. Dennoch waren die Jahre auf der Fusion eine enorme Bereicherung an inspirierenden Begegnungen und ich bin froh, dass es neben „Arab* Underground“ mittlerweile zahlreiche andere Kulturinitiativen gibt, wie AL BERLIN. Ich wiederum konzentriere mich nun auf die Musik. Als Band wollen wir unseren Traum von Grenzenlosigkeit, die keine politische Realität ist, zumindest musikalisch leben – mit unser Musik reisen und neue Erfahrungen machen, mental wie physisch. Im Mai geht’s erstmal auf Deutschland-Tour und nach dem Festivalsommer dann hoffentlich mit allen gemeinsam nach Ägypten.