Ob Theater, Fernsehen, Kino, Doku oder Radio: Die Schauspielerin und Regisseurin Reem Ali hat überall ihre Spuren hinterlassen. Als vor sieben Jahren die Revolution in Syrien begann, unterstützte die Künstlerin die Forderungen des syrischen Volkes nach Veränderung. Heute wohnt Reem Ali in Paris und ist an mehreren Kunstprojekten beteiligt. Mit FANN hat sie über ihre künstlerische Laufbahn, neue Projekte und das Verhältnis von Kunst und Politik gesprochen.
FANN: Sie bewegen sich sowohl in der Film- als auch in der Theaterwelt. Wo fühlen Sie sich wohler: auf der Bühne oder der Leinwand?
Reem Ali: Ich mag es, sowohl Theater- als auch Filmrollen zu spielen. Das Besondere am Theater ist der direkte Kontakt zum Publikum. Diese Beziehung hat ihre ganz eine Magie, vor allem wenn eine starke Energie vom Publikum ausgeht und es einen wechselseitigen Austausch gibt. Persönlich mag ich es nicht, Rollen zu wiederholen. Das ist ermüdend, selbst wenn man bei jeder Aufführung etwas Neues entdeckt. Es macht mir Angst, dass ich Lebenszeit opfere, um eine andere Person auf der Bühne zum Leben zu erwecken. Es fühlt sich an, als würde ich sterben oder immer wieder auf entsetzliche Weise verschwinden. Daher spiele ich lieber Rollen in Film und Fernsehen, die nach einer begrenzten Produktionszeit abgeschlossen sind.

„So verliert man als Künstler den unsichtbaren Faden, den man zwischen sich und den Zuschauern webt.“
FANN: Filme werden für die breite Masse gemacht und können leichter übersetzt werden als Theaterstücke. Glauben Sie, dass das syrische Theater in Europa ein Publikum finden kann?
Reem Ali: Das wäre schon möglich, wenn das Theater eine Bedeutung transportiert, die man überall unabhängig von der Sprache versteht. Mit den modernen Mitteln der Übersetzung ist das denkbar. Aber das Element der Beziehung zwischen Schauspieler und Publikum verblasst dann, denn die Leute müssten mehr auf die Übersetzung achten als auf den Schauspieler. So verliert man als Künstler den unsichtbaren Faden, den man zwischen sich und den Zuschauern webt, um ihnen die eigenen Gefühle und Gedanken zu übertragen. Um solch eine Beziehung zum Publikum trotzdem aufzubauen, müsste man sich als Schauspieler besonders anstrengen.
FANN: Das Verhältnis von Kunst und Politik wird seit Beginn der syrischen Revolution kontrovers diskutiert. Viele riefen dazu auf, beide Bereiche strikt zu trennen. Ist es gerechtfertigt, wenn eine Künstlerin oder ein Künstler die politische Lage in seinen Werken ignoriert?
Reem Ali: Vieles ist gerechtfertigt, wenn man nicht anders kann. Nicht alle Menschen haben den Mut oder die Kraft, sich unter einem repressiven Regime zu äußern, das dafür bekannt ist, Oppositionelle in Kellerverließe zu werfen. Trotzdem werde ich nie vergessen können, welche Künstler sich auf die Seite der Mörder gestellt haben.
FANN: Welche Botschaft wollen Sie mit Ihrer Kunst verbreiten? Richtet sie sich an die syrische bzw. arabische Gesellschaft oder an die europäische?
Reem Ali: Ich habe noch gar keine Botschaft geäußert, sondern versucht, verschiedene Gedanken durch dokumentarische Projekte auszudrücken. In den langen Jahren der Revolution, des Krieges und der Entfremdung habe ich viel gefilmt, hatte aber noch nicht die Gelegenheit, einen fertigen Film zu produzieren. Ich war einfach zu beschäftigt und habe nur beobachtet, was passiert. Es gibt einen weiteren Grund, warum ich keinen meiner Filme abgeschlossen habe: Ich habe mich viel mit der Gewalt beschäftigt, die ich in der syrischen und allgemein in der arabischen Gesellschaft erlebt habe. Anfangs dachte ich, dass die Ursache das repressive und rückständige Regime sei. Doch dann habe ich eine Gewalt erlebt, die viel tiefer in der Gesellschaft verwurzelt ist, unabhängig vom Regime. Ich muss also meine gesamten Filme neu überdenken.

„Ich werde nie vergessen können, welche Künstler sich auf die Seite der Mörder gestellt haben.“
FANN: Kann man die syrische und die europäische Gesellschaft mit den gleichen Mitteln ansprechen?
Reem Ali: Auch innerhalb des Westens oder des Ostens sind die Menschen sehr unterschiedlich. Als Künstler hat man bestimmte Werkzeuge und macht damit seine Kunst. Wer eine Verbindung spürt oder bei wem die Botschaft ankommt, der wird zum Publikum. Allen anderen wird diese Kunst nichts bedeuten, egal welche Werkzeuge man benutzt. Ich suche es mir nicht aus, wer mein Publikum ist, sondern die Leute suchen mich aus.
FANN: Sie haben dieses Jahr ein Comeback im Fernsehen. Erwarten Sie, dass es eine Aussöhnung mit dem Fernsehpublikum geben wird, das von vielen TV-Stars und deren Haltung zur syrischen Revolution enttäuscht war?
Reem Ali: Die Zuschauer lieben TV-Dramen – aber ja, es gab einen Bruch in den ersten Jahren der Revolution. Unser eigenes Leben wurde zu einer Serie in den Nachrichten. Die Katastrophen, die die Menschen erlebt haben, haben sie aber zur Fiktion zurückkehren lassen. Sie ermöglicht ihnen die Flucht aus der alltäglichen Trauer. Daher wollen die Leute jetzt noch mehr TV-Serien sehen, egal wie niedrig das Niveau ist. Sie wollen ganz einfach unterhalten werden. Das ist ihr gutes Recht nach allem, was sie erlebt haben. Doch das Publikum ist schlau: Es glaubt nicht, was es sieht. Es kennt die Realität, lehnt sie aber ab, weil sie sehr, sehr bitter ist.
FANN: Was sind heute, nachdem der Traum der Revolution zerplatzt ist, Ihre größten Ängste und Wünsche?
Reem Ali: Das ist eine schwierige Frage, denn ich habe nicht mehr so viele Ängste. Ich habe alles erlebt, wovor ich Angst hatte: dass meine Heimat zerrissen und mein Volk verstoßen wird, dass ich für einen Gefangenen nichts tun kann, dass ich weit weg von meiner Familie und meinem Land bin… und da bin ich nicht die Einzige, das ist eine gesamtsyrische Katastrophe. Ich habe vor allem Angst, dass wir es nicht schaffen, die Gefangenen zu retten und die Menschen in den Flüchtlingslagern vor der Obdachlosigkeit zu bewahren. Dass das tägliche Morden und die Bombardierung der Städte, die nicht unter der Kontrolle des Regimes sind, weitergehen. Dass der religiöse Extremismus weiter ganze Städte kontrolliert, dass Frauen weiterhin eingesperrt werden, um ihre Männer unter Druck zu setzen. Ich habe Angst, dass eine ganze Generation ohne Bildung aufwächst und dass in Syrien ein Verbrecher an der Macht bleibt. Ich wünsche mir, dass es Gerechtigkeit gibt – oder dass man zumindest daran arbeitet. Nicht für uns und auch nicht für die, die von uns gegangen sind, sondern für die Menschheit an sich. Damit wir unsere Menschlichkeit nicht verlieren.
Übersetzung: Hannah El-Hitami

Syrischer Lyriker.