Die ägyptische Künstlerin Imane Ibrahim setzt sich in ihrer Kunst kritisch mit Genderrollen und Identität auseinander. Als Medium nutzt die Dreißigjährige vor allem Öl auf Leinwand, aber schreibt auch immer wieder Texte, um ihre Werke zu ergänzen. Ibrahim hat in Alexandria und Beirut studiert, heute lebt sie in Kairo. Wir haben mit ihr über feministische Kunst, die Befreiung des weiblichen Körpers und den Umgang mit Aktbildern in Ägypten gesprochen.

FANN: Sie haben Ihre Masterarbeit über Feminismus und Kunst geschrieben. Wie gehören diese beiden zusammen?

Imane Ibrahim

© privat

Imane Ibrahim: Mein ganz persönliches Verständnis von feministischer Kunst ist, dass sie revolutionär sein muss. Sie muss sich im feministischen Kontext gegen etwas auflehnen. Kunst, die während einer Revolution entsteht, ist anders als Kunst, die zu einer normalen Zeit entsteht. Sie ist aufgeregt und extrem. Feministische Künstlerinnen zerstören etwas. Sie sind erregt und vielleicht auch aggressiv. Sie sind nicht in einem normalen Zustand. Ihr Schaffen ist zeitlich begrenzt, denn es endet mit der Revolution. Feministische Kunst ist sehr emotional und persönlich. Wer soll für mich sprechen, wenn nicht ich selbst? Erst muss ich sprechen, dann können Unterstützer, auch des anderen Geschlechts, dazukommen. Ästhetisch gesehen mag ich extreme Kunst nicht so gerne. Aber ich kann verstehen, aus welcher Situation heraus sie entsteht – entstehen muss.

FANN: Auch Sie haben mit Ihrer Bachelorarbeit Grenzen überschritten. Sie haben vier Aktbilder von sich selbst gemalt und eines von einem Mann. Was hat Sie dazu inspiriert?

Imane Ibrahim: Das hatte persönliche Gründe. Ich bin eigentlich sehr schüchtern und male mich nicht selbst. Außerdem trug ich damals Kopftuch. Ich komme aus einer sehr konservativen Familie, die jetzt in Saudi-Arabien lebt. Als ich anfing zu studieren, haben sich meine Überzeugungen geändert und wir hatten nur noch Konflikte. Gleichzeitig hatte ich eine Beziehung mit jemandem, der mich ständig aus religiösen Gründen kritisiert hat. Die Schizophrenie dieser Leute, die hinter geschlossenen Türen alles machen, aber mich draußen kontrollieren wollen, habe ich nicht mehr ausgehalten. An der Universität begegnete ich plötzlich Menschen, die über ganz andere Themen sprachen: über die Existenz und wie wir uns selbst begreifen können, wie wir richtig schauen sollen, wie grün grün ist, wie die Sonne aussieht. In dieser Zeit wurde ich sehr rebellisch und habe mich gegen alles gewehrt. Der Höhepunkt war, dass ich mich selbst nackt gezeichnet und die Bilder ausgestellt habe.

FANN: Wie hat Ihre Familie darauf reagiert?

Imane Ibrahim: Mein Vater hat die Aktbilder nie gesehen. Das wäre eine Katastrophe gewesen und deswegen existieren sie heute auch nicht mehr. Ich konnte sie nicht in der Uni lassen, aber auch nicht mit nach Hause zu meiner Familie nehmen. Ich musste sie einrollen, um sie zu lagern, und dadurch sind sie kaputt gegangen. Nur das Aktbild des Mannes wurde verkauft. Darüber erschien ein Artikel in der Zeitung. Alle gratulierten mir und ich zeigte den Artikel meinen Eltern. Mein Vater warf mir die Zeitung ins Gesicht und schrie mich an: „Was machst du da? Du zeichnest Aktbilder in einem Muslimbruderstaat?“ Als ich später das Kopftuch abnahm, sprach er zwei Jahre nicht mehr mit mir. Heute akzeptiert er mich, aber sieht mich als verrückt an. Ich überzeuge ihn zwar jeden Tag davon, dass ich als Künstlerin Erfolg habe, doch sieht er darin einen teuflischen Erfolg.

© Imane Ibrahim

Imane Ibrahim Artwork

FANN: Es hat sich also nur das Bild verkaufen lassen, das einen Mann darstellt?

Imane Ibrahim: Ja. Die Szene in Ägypten findet Aktbilder von Frauen spannend, will sie aber nicht kaufen. Es ist sehr schwierig, Aktkunst in Galerien unterzubringen. Es gibt keinen Markt für unsere Kunst, wir sprechen ins Leere. Alle fanden die Bilder schön und haben mir Komplimente dafür gemacht, aber niemand kam auf die Idee sie zu kaufen. Das Gleiche ist im akademischen Kontext der Fall. Von Weitem findet man das Thema toll, aber keiner will dazu arbeiten.

FANN: Für Ihr neues Projekt „I am Mounira from Egypt“ haben Sie sich nach langer Zeit wieder selbst gemalt. Was hat sich seit den Aktbildern an der Universität verändert?

Imane Ibrahim: Ich habe heute ein ganz anderes Verständnis von mir selbst und meinem Körper. Ich bin viel freier, seit ich allein lebe. Die Aktbilder waren damals eine revolutionäre Aktion. Meine Familie und mein Freund wollten kontrollieren, was ich anziehe und wie ich auftrete. Mit den Bildern habe ich gesagt: Schaut, jetzt bin ich vor allen Leuten nackt. Hier bin ich. Das ist das, wovor ihr Angst habt. Das war meine kleine Freiheit. Heute male ich mit Genuss. Ich bin komplett frei in jeder Hinsicht. Ich kleide meinen Körper so wie ich es will und gehe raus wie ich es will. Ich habe keine Angst mehr vor meinem Körper. Es hat eine große Versöhnung zwischen uns gegeben. Wenn ich ihn heute male, ist das kein Statement mehr, sondern eine nette kleine Geschichte. Ich benutze ihn als ästhetisches Element, weil ich ihn schön finde.

A Dream, 2019 © Imane Ibrahim

FANN: Inwiefern hat sich dadurch auch die Art verändert, wie Sie Ihren Körper in der Malerei darstellen?

Imane Ibrahim: Heute ist es mir weniger wichtig, dass die Person auf dem Bild genauso aussieht wie ich, sondern es geht um die Situation, in der sie sich befindet. Mein neues Bild „A dream“ stellt zum Beispiel ein Gespräch dar, von dem ich geträumt habe. Meine Silhouette ist auf dem Bild zu sehen, aber man erkennt nicht einmal, ob sie einem Mann oder einer Frau gehört. Jetzt wo mein Leben nicht mehr durch einen Mann bestimmt wird, kann ich mich unabhängig von Gender sehen. Was bin ich also? Und ist es überhaupt wichtig, dass ich etwas bin? Wir wollen uns immer bezeichnen, um uns sicher zu fühlen. Dabei will ich ständig etwas anderes sein, bewege mich immer zwischen den einen und den anderen Eigenschaften hin und her. Das Bild beschäftigt sich damit, dass es nicht wichtig ist, in welchem Geschlecht ich mich befinde. Die Figuren auf meinen Portraits haben generell keine Gesichtszüge. Es ist nicht wichtig, dass man die Personen einordnen kann, sondern es ist wichtig, dass sie existieren.

FANN: Zu Ihrer letzten Ausstellung „Building Number Twelve Elkamel Mohamed“ schreiben Sie einen Roman. Außerdem arbeiten Sie an einer Reihe von Rätselbüchern, die sich mit Gefängnissen in der arabischen Welt beschäftigen. Wie kamen Sie zum Schreiben?

Imane Ibrahim: Seit ich im Libanon war, hat sich meine Kunst verändert. Ich habe andere Dinge außer dem Malen entdeckt, die mich interessieren. Ich entdeckte Themen, die ich lieber in Worten ausdrücken wollte. Das war zunächst nicht einfach, denn mein Leben lang habe ich nie über mich selbst gesprochen.  Mich hat nie jemand gefragt, was ich mag. Dass ich gerne male, habe ich erst entdeckt, als ich angefangen habe, Kunst zu studieren. Ich mag es aber gar nicht, wenn man Text in Gemälde hineinschreibt. Malerei spricht mit einer anderen Sprache, mit Farben und Linien. Mir ist wichtig, dass die Gemälde und der Text voneinander getrennt funktionieren.