Der syrische Choreograf und Tänzer Mithkal Alzghair wurde international bekannt mit seinem Stück Displacement, mit dem er 2016 den französischen Wettbewerb „Danse élargie“ gewann. In Berlin konnte man Teile daraus zuletzt im September 2017 bei Boris Charmatz’ großem Tanzfest Fous de danse am Tempelhofer Feld zur Spielzeiteröffnung der Volksbühne sehen. Im Interview mit FANN spricht Alzghair, der in Paris lebt, über seinen Arbeitsprozess, die körperlichen Folgen von Vertreibung und die politische Natur des Tanzes.

FANN: Wie sind Sie zum Tanz gekommen?

Mithkal Alzghair: Ich habe klassischen und modernen Tanz an der Hochschule für Theater und Kunst in Damaskus studiert. Danach bin ich nach Frankreich gegangen und habe dort einen Master am Centre Chorégraphique National in Montpellier bei Mathilde Monnier gemacht. Heute lebe und arbeite ich in Paris, toure aber auch viel mit meinen Stücken.

FANN: Ist Displacement Ihre letzte Arbeit?

Mithkal Alzghair: Nein, meine letzte Arbeit trägt den Titel Transaction und ist 2017 entstanden. Es ist ein Stück für vier Tänzer, eine installative Performance, in der auch Objekte auf der Bühne sind. Wir haben Transaction an verschiedenen Orten aufgeführt, aber seit zwei Jahren touren wir hauptsächlich mit Displacement. Gerade habe ich auch mit der Arbeit an einem neuen Stück begonnen.

FANN: In Displacement verbinden Sie traditionelle Elemente des Dabke mit zeitgenössischem Tanz. Weshalb war das ein Ausgangspunkt für Sie?

Mithkal Alzghair: Vor der Entstehung von Displacement hatte ich mich dazu entschieden, der Frage nach der eigenen Geschichte und Tradition, die man in seinem deplatzierten Körper mit sich trägt, nachzugehen. Ich wollte die Auswirkungen einer Verschiebung dieses Erbes durch Revolution, Krieg und Vertreibung untersuchen. Deshalb bin ich zum traditionellen Tanz – dem Dabke – zurückgekehrt und habe auf körperlicher Ebene analysiert, wie sich Geschichte konstruiert und was in einem neuen Kontext mit ihr passiert. Gleichzeitig wollte ich dieses Material aber auch verändern, einen anderen Tanz daraus machen und mit ihm spielen. Ich wollte den Körper der Vertriebenen darstellen und ihn gleichzeitig mit dem militärischen Körper verflechten.

FANN: Wie frei waren Sie im Umgang mit dem traditionellen Material? Hatten Sie Bedenken in Bezug auf die Authentizität dieser Elemente?   

Mithkal Alzghair: Das alles geht ja von der Wirklichkeit aus. Ich selbst bin mit dieser Realität verbunden, mit dem was in Syrien passiert, und gleichzeitig auch mit meinem persönlichen Gefühl, meiner Geschichte und meinem Weggehen von dort. Ich analysiere das alles, um herauszufinden, welche dieser realen Probleme sich in Kunst und Tanz manifestieren können. Displacement ist aus einer Notwendigkeit des Zusammentreffens heraus entstanden. Mit dem Dabke arbeite ich zwar an einer bestehenden Tanzform, einem kulturellen Erbe, tue das aber ausgehend von meinem persönlichen Zugang zu dieser Form.

FANN: Wie finden Sie ganz allgemein die Themen für Ihre Stücke? 

Mithkal Alzghair: Die Frage für mich ist immer: Was sehen wir um uns herum? Was umgibt uns und was ist problematisch? Im Entstehungsprozess von Displacement war für mich nicht so sehr der Dabke interessant, als seine Übertragung in einen zeitgenössischen Kontext und die körperliche Auseinandersetzung mit militärischen Bewegungen. Es war für mich eine Notwendigkeit, das darzustellen, auch wenn es nicht immer angenehm ist. Mein Solo in Displacement zum Beispiel ist eine körperliche und emotionale Herausforderung.

FANN: Denken Sie, dass ein Gefühl von Hoffnung – auf der persönlichen Ebene oder als Teil einer politischen Haltung –  in Ihrem Arbeitsprozess von Bedeutung ist?

Mithkal Alzghair: Nein, ich denke nicht, dass es mir um das Gefühl einer äußerlichen Hoffnung geht… oder einer Hoffnung, die für die Außenwelt bestimmt wäre. Genau genommen ist Hoffnung etwas, das in der Aktion, in unserem eigenen Tun liegt.

FANN: Inwieweit ist dieses Tun politisch? Körper sind ja grundsätzlich in politischen Verhältnissen verhaftet – sind es Ihre Stücke deshalb ebenfalls?  

Mithkal Alzghair: Da haben Sie Recht, wir befinden uns immer in einer politischen Situation. In dieser Realität sind wir Syrer, in unserer Körperlichkeit und mit unserem kulturellen Erbe. Egal wo wir sind, werden wir mit Krieg und Extremismus assoziiert. Wir sehen uns auch hier in Europa politischer Gewalt ausgesetzt, sind mit Grenzen und Rassismus konfrontiert. Meine Arbeit beschäftigt sich mit diesen Körpern und der Frage nach dem Menschlichen innerhalb maschineller Systeme. Als die Revolution in Syrien anfing, war das die dringlichste Frage für mich: Was kann ich in dieser Realität tun?

FANN: Liegt die Hoffnung vielleicht in diesem Menschlichen, von dem Sie sprechen?

Mithkal Alzghair: Die Frage, ob ich noch Hoffnung habe, wird mir wegen meiner Arbeit oft gestellt. Manchmal bin ich sehr kritisch und es fällt mir schwer, Hoffnung in Bezug auf politische Alternativen zu haben. Ich setze keine Hoffnung in das politische System. Auf der Ebene des Menschlichen und des Miteinanders aber sehe ich Grund zur Hoffnung, zum Beispiel innerhalb der künstlerischen Zusammenarbeit und in der Aufführungssituation.